Wenn der Kiefer rebelliert-

Datum: 6. Oktober 2015
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Physiotherapie bei Kiefergelenkbeschwerden (CMD)

Probleme in der Gelenkmechanik des Kiefergelenks können verschiedene Ursachen unter anderem im Bereich der Weichteilanatomie haben. Diese muskulären Strukturen können fast immer durch gezieltes Training aufgebaut werden. Die physiotherapeutischen Methoden nehmen daher einen großen Stellenwert in der Behandlung einer CMD ein. Neben den gängigen Therapieverfahren hat sich das Tapen einen festen Platz in der CMD-Behandlung erobert. Nur speziell ausgebildete Physiotherapeuten dürfen auf ärztliche Verordnung bei diesem schwierigen Behandlungsfeld tätig werden.

Die Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) umfasst verschiedene Krankheitsbilder. Bei der physiotherapeutischen Behandlung stehen die Myopathie und die Gelenkfehlstellung im Fokus der Behandlung. Eine Funktionserkrankung mit Schmerzen und/oder Funktionseinschränkungen kann erst unter muskulärer Dysfunktion entstehen. Die Indikation für eine physiotherapeutische Intervention ergibt sich aus dem Ergebnis der zahnärztlichen klinischen Funktionsanalyse. Nur der Zahnarzt ist berechtigt, eine physiotherapeutische Intervention zu diesem Beschwerdebild zu initieren .Die daraus erstellten Diagnosen bilden anschließend die Grundlage für die physiotherapeutische Untersuchung und Behandlung.

Physiotherapeutische Anamnese

Grundlage der physiotherapeutischen Untersuchung ist eine ausführliche Anamnese. Diese sollte umfassend sein und alle früheren Erkrankungen beinhalten. Im Anschluss erfolgt die physiotherapeutische Befunderhebung mit der Beurteilung von Gewebe, Haut, Muskulatur und Bewegungssegmenten. Im Rahmen dieser Untersuchung wird der gesamte Bewegungsapparat erfasst. Die Untersuchung der Halswirbelsäule (HWS) erfolgt in drei Abschnitten, die obere HWS (Kopfgelenke), die mittlere HWS und die untere HWS.

Liegt eine Bewegungseinschränkung der Bogengelenke eines Wirbelsäulensegments vor, kann die Ursache arthrogen sein. Bei positiven Befunden ist daher eine differenzierte segmentale Untersuchung der HWS erforderlich.

Das Ergebnis dieser Untersuchung ist eine Analyse der Bewegungseinschränkungen, die physiotherapeutische Behandlung wird daraufhin individuell auf dieses Ergebnis abgestimmt.

Physiotherapeutische Behandlung

Am Anfang der Physiotherapie steht die physikalische Therapie, hierzu gehören Wärmeanwendungen (Thermo) und Kälteanwendungen (Kryo). Die Wirkungsweisen sind analgesierend, tonusregulierend, resorptionsfördernd und steigern die Durchblutung der Muskulatur.

Die manualmedizinischen Behandlungstechniken teilen sich in mehrere Bereiche:

• Massagen: Weichteilmobilisation zur Steigerung der Durchblutung, fibrosierte Muskelfasern lösen, Kontrakturen beseitigen

• Dehntechniken: Muskelverkürzungen werden mit aktiven und passiven Dehntechniken behandelt.

• Gelenktechniken: Die „Manuelle Therapie“ dient der Mobilisation der Kiefergelenke. Die manuellen Techniken wirken direkt im Gelenk über Traktion und Translation.

Die aktiven Übungsbehandlungen gelten als ein weiterer wichtiger Bestandteil der Therapie.

• Tape-Anlagen bei CMD: Die Basis der Tapeanlagen wurde vor etwa 80 Jahren von Dr. Kenso Kase entwickelt. Er baute die Kinesio-Tape-Methode auf. Diese wurde in den vergangenen Jahren weiterentwickelt, erweitert und ergänzt.

Das Tape bei CMD ist ein neues Konzept, was sich aus unterschiedlichen Tape-Konzepten zusammensetzt.

Tapes unterstützen den Heilungsprozess

Ein Tape nimmt Einfluss auf die Muskulatur, auf die Gelenke, auf den Schmerz und auf das Lymphsystem. Die Anwendungsbereiche reichen von Myopathie, Kau-, Kauhilfsmuskulatur, HWS-Syndrom, Arthropathie der Kiefergelenke, Hämatome, Lymphstau, allgemeinen Schmerzen am Gelenk bis hin zu schweren Funktionserkrankungen. Aber auch vor oder nach chirurgischen sowie auch oralchirurgischen Eingriffen kann eine physiotherapeutische Mitbehandlung den Operationserfolg günstig beeinflussen.

Die Auswahl der einzelnen Verfahren und Techniken hängt dabei von der individuellen Befundkombination sowie vom jeweiligen Behandlungskonzept ab. Weiterhin muss der jeweilige Ausbildungsstand des behandelnden Physiotherapeuten beachtet werden. Die Auswahl ist komplex, zumal für die verschiedenen Befundkombinationen unterschiedliche Behandlungstechniken etabliert sind.

Häusliches Übungsprogramm

Sehr wichtig ist beim gesamten Behandlungsverlauf die frühzeitige Einbindung des Patienten in ein systematisches, häusliches Übungsprogramm mit nachhaltiger Verhaltensänderung. Ein individuelles häusliches Übungsprogramm zum Erhalt der Beweglichkeit und zur Rezidivprophylaxe sowie eine Haltungskorrektur für den Patienten werden erstellt. Das Ziel des häuslichen Übungsprogramms besteht darin, nach dem Ende einer Behandlungssitzung das erreichte Behandlungsergebnis bis zur nächsten Behandlung zumindest zu er- halten, wenn nicht sogar zu verbessern. Die Grundlage besteht dabei in der Stabilisierung der Muskulatur wie auch in der Einübung korrigierter Bewegungsmuster. Die neurophysiologische Grundlage dieser Korrektur besteht in der Bahnung (korrigierter) bedingter Reflexe. In der Praxis ist der wichtigste Bestandteil dieses häuslichen Übungsprogramms die Einübung einer symmetrischen, schmerzfreien Mundöffnungsbewegung.

Das Übungsprogramm wird häufig mit Tape-Anlagen unterstützt.

Physiotherapeutische Mitbehandlung

Die Zusammenarbeit kann nur bei einer präzisen Übermittlung der zahnärztlichen Fragestellung beziehungsweise des Untersuchungs- und Behandlungsauftrags sowie des Ergebnisses der Behandlung vorhersehbar erfolgreich sein. Im Rahmen der fachlichen Weiterentwicklung gibt es heute einen „Verordnungsbogen Physiotherapie“. Dieses Formular ergänzt das zahnärztliche Rezept, wird zum Zeitpunkt der Untersuchungs- beziehungsweise Therapieanforderung ausgestellt und dem Patienten mitgegeben. Gleichzeitig dient es der Dokumentation der physiotherapeutischen Behandlung sowie der Abstimmung über deren Ergebnisse. Die Tapeanlagen können vom Arzt verordnet werden, vor oder nach zahnärztlichen und oralchirurgischen Behandlungen.

Zusammenfassung

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Zahnarztpraxis und physiotherapeutischer Praxis kann nur dann erfolgreich sein, wenn ein enger gegenseitiger Informationsfluss gewährleistet ist. Das Ziel der physiotherapeutischen Behandlung ist eine Detonisierung der Weichteile sowie eine Verbesserung der segmentalen und der funktionellen Mobilität der Kiefergelenke und der Halswirbelsäule und damit eine Schmerzreduktion. Die motorische Kontrolle und eine bewusste Körperwahrnehmung (Haltungskorrektur) sollen wiederhergestellt werden, um die Gelenke zu stabilisieren und zu entlasten.

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